Neue Daten zu möglicher Nebenwirkung Was über Herzmuskelentzündungen nach Biontech-Impfungen bekannt ist

Von Julia Merlot

04.06.2021, 00.28 Uhr

Nach der Covid-19-Impfung mit dem Mittel von Biontech/Pfizer wurden in Israel auffällig häufig Herzmuskelentzündungen nachgewiesen. Dies betrifft nach ersten Erkenntnissen vor allem junge Männer. Biontech-Dosen
Foto: CARLOS OSORIO / REUTERS

Nach der mehrere Wochen dauernden Debatte über Nebenwirkungen beim Impfstoff von AstraZeneca, gibt es nun auch beim Präparat von Biontech Negativberichte über sehr seltene Nebenwirkungen. So untersucht Israel Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Covid-19-Impfstoff und Fällen von Herzmuskelentzündungen. Insbesondere bei jüngeren Männern sei die Erkrankung nach der Impfung gehäuft beobachtet worden, meist nach der zweiten Dosis, schreibt das israelische Gesundheitsministerium nach einer Analyse.

Zu einer Herzmuskelentzündung, auch Myokarditis genannt, kommt es meist in Folge einer Virusinfektion. Oft handelt es sich um eher milde Erkrankungen, die sich durch Brustschmerzen oder Kurzatmigkeit bemerkbar machen, aber kurze Zeit im Krankenhaus behandelt werden müssen. Eine Myokarditis kann aber auch lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen auslösen.

Im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung gab es Berichte über solche Herzmuskelentzündungen. Die ersten Verdachtsfälle im Zusammenhang mit der Impfung wurden im April bekannt.

"Ob es sich bei den Fällen, die im Zusammenhang mit der Impfung aufgetreten sind, um exakt die gleiche Form der Erkrankung handelt, wie nach Virusinfektionen, ist noch unklar", sagte der Kardiologe Dirk Westermann vom Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) dem SPIEGEL. Er rät allen Altersgruppen in Abwägung der bekannten Risiken weiter zur Impfung mit dem Mittel von Biontech/Pfizer.

Auffällige Häufung bei jungen Männern

Laut dem Bericht aus Israel wurden von Dezember 2020 bis Mai 2021 275 Fälle von Myokarditis gemeldet, 148 davon im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung. Insgesamt wurden in dem Zeitraum 5,4 Millionen Menschen mit mindestens einer Dosis geimpft.

Daraus ergibt sich ein Anteil der Fälle mit Herzmuskelentzündung von ungefähr 0,003 Prozent oder ein Krankheitsfall unter mehr als 30.000 Geimpften. Nach der zweiten Dosis liegt der Anteil der Krankheitsfälle bei 0,002 Prozent oder einem von ungefähr 40.000 Geimpften. Falls die Herzmuskelentzündungen ursächlich mit der Impfung zusammenhängen sollten, wären die Fälle in der Gesamtbevölkerung damit sehr selten.

Allein anhand der Zahlen lässt sich noch kein Zusammenhang nachweisen. Dass bei mehr als fünf Millionen Geimpften zufällig Krankheiten auftreten würden, war zu erwarten. Die entscheidende Frage ist, ob die Beschwerden unter Geimpften häufiger vorkommen, als ohne Impfung zu erwarten gewesen wäre.

Ergebnis der Analyse: Während die Daten für die Allgemeinbevölkerung keine Hinweise auf einen ursächlichen Zusammenhang zeigen, trat die Erkrankung bei jungen Männern nach der Impfung tatsächlich auffällig häufig auf. "Herzmuskelentzündungen betreffen ohnehin in der Regel junge Menschen", sagte Westermann. "Die Zahlen aus Israel legen nun aber nahe, dass die Impfung von Biontech/Pfizer die Fallzahl in der jungen Altersgruppe zumindest bei Männern zusätzlich erhöht".

"Gewisse Wahrscheinlichkeit" für einen Zusammenhang

Zwischen einem von 3000 und einem von 6000 Männern im Alter von 16 bis 24 Jahren hätten nach der Impfung die seltene Erkrankung entwickelt, schreibt das Fachmagazin "Science" unter Berufung auf israelische Forscher.

"Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen möglichen Zusammenhang zwischen der zweiten Impfdosis und dem Auftreten einer Myokarditis bei jungen Männern im Alter von 16 bis 30 Jahren", so das Ministerium. Besonders in der jüngeren Altersgruppe zwischen 16 und 19 Jahren liege ein Zusammenhang nahe. Mit zunehmendem Alter werde die Evidenz dafür schwächer.

Laut dem Gesundheitsministerium sind 95 Prozent aller in Israel registrierten Herzmuskelentzündungen mild verlaufen. Die meisten Betroffenen seien für bis zu vier Tage im Krankenhaus behandelt worden.

Solche Verläufe sind typisch für Herzmuskelentzündungen. Auch zwei Fälle mit tödlichem Verlauf wurden den Behörden gemeldet. Einer habe sich jedoch nicht bestätigt, beim anderen sei noch nicht klar, ob er im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung steht.

In Deutschland kein Zusammenhang erkennbar

Pfizer erklärte, dass dem Unternehmen die Befunde aus Israel bekannt seien. Bislang sei aber kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und Myokarditis festgestellt worden.

Israel impft Teenager ab 16 Jahren seit Januar 2020. In dem Land kommt fast ausschließlich das Mittel von Biontech/Pfizer zum Einsatz. In Deutschland wurden bislang vor allem ältere Menschen geimpft. Ab Montag fällt die Priorisierung allerdings weg. Zudem könnten bald auch Menschen unter 16 Jahren gegen Covid-19 geimpft werden. Die EU-Kommission hat den Biontech/Pfizer-Impfstoff für Kinder ab 12 Jahren zugelassen, die Ständigen Impfkommission (Stiko) in Deutschland empfiehlt das Mittel aber noch nicht für diese Altersgruppe.

Laut dem aktuellen Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), das in Deutschland für die Sicherheit von Impfstoffen zuständig ist, wurden nach 28,8 Millionen Covid-19-Impfungen in Deutschland bis Ende April, davon 21,3 Millionen mit dem Mittel von Biontech/Pfizer, 16 Fälle von Myokarditis gemeldet, zwölf traten innerhalb einer Woche nach der Impfung auf.

"Derzeit ist auf der Basis der vorhandenen Daten aus Deutschland kein Risikosignal zu sehen", schreibt das PEI und erklärt, es werde Berichte über Herzmuskelentzündungen weiter erfassen und untersuchen. "Wenn eine Nebenwirkung unter 100.000 Geimpften nur ein paar Mal vorkommt, fällt sie erst auf, wenn, wie in Israel, sehr viele Menschen geimpft wurden", sagte Westermann.

Impfung weiterhin auch für junge Männer sinnvoll

Er hält die Anwendung von mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19, zu denen auch das Mittel von Moderna gehört, trotz der neuen Daten aus Israel weiter für sinnvoll - auch bei jungen Männern oder Teenagern.

"Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, dass sie schwer an Covid-19 erkranken", so Westermann. In seltenen Fällen entwickelten sie jedoch Long Covid, also Symptome, die nach einer Infektion über längere Zeit anhalten. "Gerade, wer sich um seltene Nebenwirkungen sorgt, sollte sich impfen lassen", so der Kardiologe.

Ähnlich sieht es Douglas Diekema, Kinderarzt und Spezialist für Risikoabwägungen am Seattle Children's Hospital. Falls tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Herzmuskelentzündungen und dem Impfstoff bestehe, verlaufe die Erkrankung in der Regel mild und sei leicht mit entzündungshemmenden Medikamenten behandelbar. Eine Covid-19-Infektion könne dagegen auch bei jungen Menschen schwere Erkrankungen und langfristige Nebenwirkungen verursachen, sagte er dem Fachmagazin "Science".

Bekannte Nebenwirkung bei anderen Impfstoffen

Westermann verweist zudem darauf, dass grundsätzlich bekannt sei, dass im Zusammenhang mit Impfungen selten Herzmuskelentzündungen auftreten können. Bislang sei das vor allem für Impfstoffe dokumentiert, bei denen vollständige Viren in den Körper eingeschleust werden. Wie mRNA-Impfstoffe Herzmuskelentzündungen auslösen, ist dagegen noch unklar.

Statt eines modifizierten Virus wird hier allein der genetische Bauplan eines typischen Virusproteins verabreicht. Der Körper stellt dieses Protein dann selbst her, und das Immunsystem entwickelt Antikörper dagegen.

"Denkbar wäre, dass das Immunsystem bei jungen Männern nach der Impfung in seltenen Fällen überschießt", sagt Westermann. Die Immunreaktion könne dann vorübergehend eine Entzündung des Herzmuskels verursachen.

Vorstellbar sei auch, dass Antikörper gegen Sars-CoV-2 in seltenen Fällen dem Herzen schadeten. "Das halte ich aber für eher unwahrscheinlich", so der Kardiologe. In diesem Fall müsse eine Infektion mit dem Virus in der jungen, männlichen Altersgruppe ebenfalls ungewöhnlich oft zu einer Herzmuskelentzündung führen. Das ist bislang jedoch nicht erwiesen.


Quelle: Biontech-Impfung: Was über Herzmuskelentzündungen als Nebenwirkung bekannt ist - DER SPIEGEL